Wie ein Besucher einen Adventsmarkt auf der Burg Ludwigstein
erleben kann, schildert
Christine Brückner in ihrer Geschichtensammlung "Die Stunde des Rebhuhns" (© 1991, 2000 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin): Ein Adventssonntag. Wir fuhren zum Ludwigstein, einer Burg im Tal der Werra; unsere Ausflugsziele liegen oft nahe der deutsch-deutschen Grenze. Der Tag war trübe, Raureif hing auch am Nachmittag noch an den Dornen der Hecken. Glasbläser, Töpfer, Buchbinder bei der Arbeit, man konnte betrachten, man konnte aber auch einkaufen: schönes Kunsthandwerk. Es duftete nach Glühwein und Stolle und Kaffee; weihnachtliche Flötenmusik. Eltern und Kinder drängten sich in jenem Teil der Burg, in dem Weihnachtskrippen ausgestellt waren. Im Burghof konnte man das Wunder von Bethlehem life sehen. Man hatte einen Stall aufgebaut, Ballen von Heu und Stroh gestapelt, es fehlte nicht der Esel und nicht das Wollschaf. Maria und Joseph in altdeutscher Tracht, sie jung und hübsch, und auch er jung, aber gebeugt vom Alter, mit Bart und Stecken. Nur das Christuskind, das in einer Krippe auf Heu und auf Stroh lag, das war aus Celluloid, aber lebensgroß und nackt. Nach einiger Zeit wurde es Maria und Joseph zu kalt, vielleicht auch zu langweilig, sie verließen den Stall und den Esel und das Schaf und ihr neugeborenes Celluloidkind, um sich aufzuwärmen und Glühwein zu trinken. Ersatzeltern gab es nicht. Und jetzt belebte sich der Stall! Kinder streichelten zaghaft den Esel und beherzter das Schaf, und dann fütterten sie die Tiere. Sie zerrten Büschel von Heu und Stroh aus der Krippe und steckten sie den Tieren zu. Das Schaf blökte, es war wirklich alles ganz wie im Leben, life. Wir hatten ein paar Weihnachtseinkäufe gemacht und kehrten über den Burghof zurück, Maria und Joseph fehlten noch immer, aber auch die Kinder hatten sich entfernt, die Tiere waren satt und das Celluloidkind hatte keinen Halm Stroh mehr unter sich liegen. Es war dunkel geworden, der Abendstern stand am Himmel, eine klare Frostnacht, wir blickten zurück auf die schön erleuchtete Burg. Manchmal werde ich eingeladen, bei einer Weihnachtsfeier zu lesen. Die wenigen Weihnachtsgeschichten, die ich geschrieben habe, spielen im Krieg und nach dem Krieg. Diese kleine Geschichte habe ich in mein Repertoire aufgenommen, eine Geschichte aus guten Zeiten. Inzwischen liegt der Ludwigstein nicht mehr in Grenznähe, sondern mitten in Deutschland, zur Krippenausstellung kommt man aus Hessen und auch aus Thüringen, diesen Zusatz füge ich nun an. E i n A d v e n t s s o n n t a g v o n C h r i s t i n e B r ü c k n e r |